Geben Sie ein Suchwort ein und drücken Sie die Eingabetaste, um die Suche zu starten.

Diese Reise

Jahrelang das gleiche Muster. Mein Leben war vor allem geprägt vom Wunsch nach – und dem Errreichen von materiellen Zielen. Ich war getrieben – wusste aber nicht von was – und wonach ich eigentlich wirklich suchte. Nur vorwärts, irgendwohin. Pilgern, Wandern, Filme und Bücher darüber habe ich belächelt. Das alles empfand ich als Verschwendung zeitlicher und weltlicher Ressourcen.

Aber Leben passiert und es verändert sich ständig. Manchmal auch in sehr kurzer Zeit. Zwei unabhängig voneinander stattfindende Ereignisse zeigten mir die Grenzen auf. Sie forderten mich auf umzudenken, neue Wege zu gehen und alte Denkmuster zu durchbrechen, um wieder klar sehen zu können.

Enttäuschung & Corona

Zum einen war da eine unerwartete und harte zwischenmenschliche Enttäuschung Anfang des Jahres, die mich emotional und mental schachmatt setzte – und an der ich fast zu zerbrechen drohte. Plötzlich war alles weg, woran ich glaubte, wofür ich mich jahrelang aufgeopfert hatte. Wofür? Für wen? Um am Ende was zu haben? Die eigene Definition über den Lifestyle, den Job und die vielen Projekte funktionierte nicht mehr.

Zum anderen zwangen die plötzlichen Corona-Beschränkungen, die ungefähr zeitgleich geschahen dazu, von Bekanntem loszulassen. Corona durchdrennte die letzte Verbindung zum bisherigen Lebenskonzept. Es war Fluch und Segen zugleich. Corona bedeute zudem, für mich, wie für viele andere auch, Kurzarbeit, Freistellung, Ungewissheit.

Drei Umstände – eine Reise

Rückblickend wurde mir bewusst, dass insgesamt drei Umstände diese Reise, in dieser Form, in dieser Dimension, erst ermöglichten. Die erzwungene Corona-Ruhephase gab mir die Zeit; die Enttäuschung gab mir die Kraft; der Status des Pilgers die Möglichkeit, mich über Grenzen hinweg durch Europa zu bewegen.

Aber dachte ich anfangs überhaupt an Europa? Eigentliches Ziel war es, eine Auszeit zu nehmen und eine Strecke von 450 km, den Ökumenischen Pilgerweg, gleichzeitig die Via Regia, von Görlitz nach Eisenach, zurückzulegen. Das allein erschien bereits eine unüberwindbare Distanz zu sein.

Erfahrung: Keine

Bis dahin bin ich vorher nie gewandert, hatte somit keinerlei Wandererfahrungen oder Vorkenntnisse besessen – wusste also nicht ob und wie ich mit so einer Strecke klarkommen würde. Wahrscheinlich haben es mir die wenigsten zugetraut. Jemand sagte „Maximal eine Woche, dann kehrst Du um.“ Ein anderer: „Du bist verrückt, 450 km als erste Reise? Alleine? So etwas macht doch keiner!“ 

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch die Hoffnung, bald wieder klar zu sein im Kopf und auch, dass die Corona-bedingten Einschränkungen wieder vorüber sein werden. Dass ich am Ende vier Länder durchqueren und Faro in Portugal erreichen sollte, konnte zu diesem Zeitpunkt niemand ahnen.

Lauf Forrest …

Ab einem gewissen Punkt dieser Reise begann ich mich zu fühlen wie Forrest Gump. Im Buch/Film ist auch er einfach losgelaufen. Allein, oft einsam über lange Strecken. Einfach laufen. Sich freilaufen. Erst erreichte ich das eine Ziel, dann kam wieder ein Neues hinzu. Und so ging es weiter.

Den Weg eingeteilt in Abschnitte von 100 km. Immer die aktuellsten Entwicklungen im Blick, verbunden mit großer Ungewissheit, wie und ob es überhaupt weitergeht. Gibt es Herbergen? Sind die Städte bzw. ganze Gebiete überhaupt passierbar? Sind die Grenzen offen?

Wie bei allen Vorhaben – es hätte viele Möglichkeiten gegeben auszusteigen, den Weg abzubrechen. Jeder Grund wäre nachvollziehbar gewesen. Am Ende aber siegte der Wille weiterzumachen. So lange, bis es wirklich nicht mehr geht.
Ich wollte mir nicht jemals die Frage stellen müssen, „Was wäre gewesen wenn…“; nicht jemals das Gefühl haben müssen, vorher aufgehört und abgebrochen zu haben, noch bevor ich alles versucht habe, was mir möglich ist. Ich wollte wissen was möglich ist, in einer Zeit, in der so vieles unmöglich schien…

Eine Reise – vier Länder

Irgendwann nahm mich der Weg an die Hand und führte mich. In Deutschland ging es über vier verschiedene Pilgerwege von Görlitz nach Trier. Von dort ging es weiter durch die Champagne nach Paris. Von Paris, folgte ich der Via Turonensis, über Orléans an der Loire entlang nach Tours, weiter nach Bordeaux bis nach Lourdes. Durch Spanien lief ich auf dem Mythos schlechthin, dem Camino Frances, bis nach Santiago de Compostela. Portugal durchquerte ich Freestyle, mal dem Pilgerweg folgend, mal nicht.

Aus geplanten 450 km wurden 1.000 km. Aus 1.000 km wurden 2.000 km. Aus 2.000 km wurden mehr. Bis man mir in Santiago de Compostela 3.300 km bestätigte. Und dann ging es noch weiter über Porto, Fatimá, Lissabon bis nach Faro.

Zu Fuß. Aus dem Nichts. Ohne Vorbereitung und notwenige Wandererfahrung. Sogar die Ausrüstung hatte ich erst zwei Monate vor Beginn der Reise recherchiert und im Internet bestellt. Aufgrund des Lockdowns hatten sämtliche Geschäfte geschlossen.

Neues Weltbild

Diese Reise eröffnete mir vollkommen neue Welten und Universen. Sie lehrte mich, auf Zeichen und die eigenen Gedanken zu achten – denn es könnte sein, dass diese wahr werden. Mehrere Male konnte ich Dinge beobachten, die Wirklichkeit wurden, nur weil ich sie gedacht habe. Schlüsselmomente, die alles nochmals veränderten. Allein von dieser Erkenntnis war ich tief beeindruckt und erfüllt mit Demut und Dankbarkeit.

Die Reise lehrte mich weniger zu erwarten – und mehr zu erhalten, als ich mir jemals hätte vorstellen können. Weniger vom Leben zu erwarten und mehr zu akzeptieren, was ist und was sich nicht ändern lässt. Sie brachte mich mit Menschen zusammen, die ich bis dahin immer belächelt habe, weil ich deren Lebensentwürfe nicht verstand.

Jene, die vollkommen anders waren als ich und sie in meiner Welt existierten. Verrückte Typen, Aussteiger, herzensgute Menschen, die glücklicher waren als ich. Sie lehrte mir ein neues Weltbild und eine neue Akzeptanz und ein neues Verständnis für meine Mitmenschen. Und vieles mehr.

Und sie wurde auch zu einer Reise der Vergebung und Dankbarkeit. Anfangs unvorstellbar änderte der Weg jedoch die Sicht auf die Dinge und damit die komplette Wahrnehmung.

Achte auf Deine Gedanken, denn es könnte sein, dass sie wahr werden…

Erwarte nichts – und erhalte mehr, als Du Dir jemals hättest vorstellen können

Warte nicht auf die Zeit, denn die Zeit wartet nicht auf Dich…