Dirk Naumann
Saintes
Durch hügeliges Gelände, durch die Weinberge der Charante und durch die historische Kulturlandschaft der Saintonge – ging es mit jedem Schritt Richtung Saintes, Stadt der Kunst und Geschichte. Kurz vor dem Erreichen der Stadt verlief der Weg quer über einen Golfplatz. Erst als Pilger, mit pfeilschnellen Rennradfahrern auf der Rennstrecke, jetzt auf dem Golfplatz. Ein abenteuerliches Gefühl, so zwischen den Bäumen oder auf freier Strecke, ohne Deckung unterwegs zu sein. Der Pilgerweg, teils hinter Bäumen versteckt und nur wenige Meter weiter, liefen die Spieler mit ihren Caddys und machten Abschläge.
Die charmante Stadt Saintes liegt direkt am Fluss Charente und muss einmal ein sehr bedeutender Ort gewesen sein. Prunkvolle und monumentale Bauwerke wie der prächtige Germanicus-Bogen, ein Triumphbogen, vor über 2.000 Jahren von den Römern errichtet, Reste eines römischen Amphitheaters, älter als das Kolosseum in Rom, zeugen davon. Weiterhin die Basilika mit ihrer geheimnisvollen Krypta, die Abbaye aux Dames und die Cathedrale Saint-Pierre.
Ein Gedanke beim Anblick des Triumphbogens in Saintes:„2.000 Jahre Geschichte – mitten in der Stadt, auf einem kleinen Platz – und das Bauwerk steht bis heute. Wie viele der heutigen Bauwerke wohl in 2.000 Jahren, 1.000 Jahren oder 500 Jahren noch stehen? Wie haben die Römer und auch die Generationen danach, dass geschafft?“
Am nächsten Morgen, im ersten Licht des Tages, führte mich der Weg zur Kathedrale Saint-Pierre. Hier stimmte ich mich im Innenhof auf die vor mir liegende Etappe ein. Morgendliche Frische und absolute Stille um mich herum. Nur ein paar Tauben, die einzigen Besucher neben mir, spazierten im Morgenlicht durch das frisch geharkte, weiße Kiesbett. Noch ein tiefer Atemzug dieser klaren und frischen Luft, dann brach ich auf. Das Ziel, die tausendjährige Stadt Cognac. Cognac ist ein Name für eine Stadt, für eine Region in der Charente, für ein bekanntes ein Weinanbaugebiet und den berühmten Branntwein.
Violine & Piano
Auch wenn Cognac nicht auf dem Pilgerweg lag, sondern einen Umweg und eine zusätzliche Tagesetappe bedeute, wollte ich mir dieses romantische Städtchen und einen Besuch eines der vielen Cognac-Häuser nicht entgehen lassen. So baute ich wieder eine zusätzliche Etappe und folgte dem Fluss Charante nach Cognac. Noch auf dem Weg buchte ich eine Führung durch das Schloss Cognac, gleichzeitig dem Stammhaus des Cognac-Hauses Otard.
Auf dem Weg ging es vorbei an klassischen, eleganten, gut gepflegten Herrenhäusern. Aus einem dieser Häuser, das Fenster war weit geöffnet, ein verschnörkelter Notenständer stand am Fenster, ertönten stimmungsvolle Stücke auf der Violine mit Piano-Begleitung. Was für ein schöner morgendlicher Gruß und Abschied zugleich. Einige Minuten blieb ich dort stehen genoss dieses Konzert. Das sind die kleinen Momente, die einer Reise ihren besonderen Charakter verleihen.

Dirk Naumann, geboren und aufgewachsen in Torgau / Sachsen, lebt nach Stationen in Düsseldorf und Monaco heute in München. 2020, während der Pandemie, brach er auf, zu einer mehr als 3.600 Kilometerlangen Pilgerreise durch vier Länder Westeuropas. Zu Fuß, ohne Vorbereitung und Erfahrung. Aus den Notizen dieser Reise entstand ein persönliches Buch, dass gleichzeitig seine Premiere als Autor darstellt.