{{title:words:5}} Vom: 8. September 2025 - Update: 11. September 2025 MEHR ERFAHREN...

Dirk Naumann

Lesedauer: 9 Minuten

Tour de France

Offene Pilgerherbergen, Kirchen, Klöster, mit entsprechend pilgerfreundlichen Preisen waren in diesem Jahr und auf dieser Strecke sehr rar gesät. Wenn ich doch mal eine fand, war es eine echte Wohltat und Balsam für die Seele und den Geldbeutel, wie zum Beispiel der Campingplatz, Camping Municipal in Lusignan oder das wunderbare Maison des ARts in Brioux-sur-Boutonne.

Und dann durfte ich mich ein weiteres Mal freuen, so glaubte ich. Ich fand wieder eine preiswerte Unterkunft. Jackpot! 20 € für eine Nacht. Es fühlte sich an wie ein lauter innerer Jubel verbunden mit einem wilden Freudentanz. Die Gastgeberin klang auch sehr freundlich, also alles gut. Es dämmerte bereits, die ersten Sterne waren aufgegangen, als ich die Unterkunft in der Nähe von Aulnay erreichte. Die Gastgeberin öffnete mit den Worten, „Désolé – nous some occoupe“ – „Es tut mir leid, wir sind ausgebucht“. Eine Gruppe Radfahrer war schneller und hat wohl für mehr Umsatz gesorgt.

Hotel du Donjon

Eine Lösung musste her. Schnell. Wieder einmal. Jetzt nur nicht erschrocken auf dieses „Problem“ starren und einengen lassen. Stattdessen half es, sofort in die Vogelperspektive zu gehen, das große Bild zu sehen und so neue Wege zu erkennen. Die Lösung ist irgendwo da draußen – manchmal muss sie erst aus verschiedenen Elementen zusammengesetzt werden und manchmal ist sie ganz nah. Wie in diesem Fall.

Es war schon spät und die Dämmerung setzte bereits ein. Es gab noch ein kleines familiengeführtes Hotel im Ort, Hotel du Donjon. Also auf ins Hotel, in der Hoffnung, dass … Nach einigen bangen Minuten des Wartens und eines prüfenden hin- und her Blätterns im Reservierungsbuch, dann die erlösende Nachricht der Inhaber: „Monsieur, das letzte verfügbare Zimmer hat auf Sie gewartet. 80 €, Petit dejeunier compris“.
Na, sogar mit Frühstück! Herrlich. Eben noch freudig erregt, ob des Jackpots für 20 €, nun die Realität, 80 €. Egal.

Auch wenn pilgerfreundliche Preise etwas anderes sind – diese Geschichte passte zur Stimmung des vorherigen Abschnitts. Und so war das Hotel du Donjon in Aulnay, meine persönliche Oase, meine Rettung. Gastfreundschaft, Ambiente und Frühstück waren ausgezeichnet. Eine klare Empfehlung! Hotel du Donjon in Aulnay.

Bienvenue an Charante Maritim

Irgendwann schloss ich Frieden mit meinem Schatten, dem inneren Zweifler und dem inneren Bremser. Der Himmel riss auf, die grauen Wolken lichteten sich, der Zweifel wich, der Kopf war wieder frei. Die Sonne strahlte, als ob nichts gewesen wäre. Eben noch wankte ich unter der „erdrückenden Präsenz“ – hatte ich plötzlich wieder klare Sicht und Leichtigkeit in mir. So nah liegen manchmal die Gefühle beieinander.

„Bienvenue an Charante Maritim“ begrüßt mich ein Grenzstein. Über kleine idyllische Brücken, wie aus einem Märchenbuch entsprungen, ging es weiter Richtung Saint-Jean-d´Angély, einem weiteren Meilenstein, auf den ich mich freute. Eine einzelne gelbe Sonnenblume, wie ein Farbklecks, inmitten eines riesigen beige-grauen Feldes, strahlte mir optimistisch entgegen. Wunderbare Dörfer und Landschaften, dazu eine schöne Streckenführung. „Diese Strecke ist auch gut geeignet für eine Radtour.“ So meine Gedanken und schon zog eine Gruppe von vier Inlineskatern, jeder ausgestattet mit einem großen Wanderrucksack, an mir vorüber. Das nächste Mal gehe ich wohl auch auf diese Art Pilgern.

Kurz vor Courcelles, dem Ziel der heutigen Etappe, gab es, wohl in Anlehnung an die zeitgleich stattfindende Tour de France, ein Radrennen. Die Streckenführung entsprach zufälligerweise genau der des Pilgerweges. Und so fand ich mich plötzlich inmitten des Radrennens wieder. Natürlich machte ich Platz und lief, wenn es möglich war, auf den sicheren Fußwegen – nur es war eben nicht immer möglich. Beim Überqueren der Ziellinie durfte ich mich im Applaus der Zuschauer genussvoll baden, auch wenn ich als letzter die Ziellinie überquerte. Bravo! Applaus und Siegerfaust.

Marie Jeanne

Noch voll in der Welt des Applaus-Genießens und des Momente-Sammelns rief plötzlich jemand meinen Namen … irgendwo in Frankreich… In einem Dorf … „Monsieur Dirk, Monsieur Dirk…“ Völlig irritiert schaute ich mich um.

Eine Dame, freudig winkend, sich den Weg durch die Rennräder bahnend, kam mir entgegengelaufen. Es war meine heutige Gastgeberin, Marie Jeanne. Ich erinnerte mich, dass ich bei der Reservierung eine ungefähre Ankunftszeit angegeben hatte plus Ort und Ausgangspunkt. Somit war eine zeitliche Berechnung für sie möglich. Ein unerwarteter, toller und vor allem herzlicher Empfang. Wir verstanden uns sofort. In der Unterkunft gab es dann erst einmal ein kühles Bier – nach so einem anstrengenden Rennen… „A la votre!“

Marie-Jeanne war eine wunderbare und herzliche Gastgeberin, selbst Pilgerin und bereits mehrmals in Santiago de Compostela. An den Wänden hingen viele verschiedene Compostelas, die Pilgerurkunden aus Santiago de Compostela. Gemeinsam besuchten wir die örtliche Kirche. Dort erhielt ich eine kleine Führung und durfte am Abend, mit einem riesigen, alten Schlüssel, die Kirchentür abschließen. Zum Abendessen sang sie, wie die Nonne in Tours, ein Abendgebet für mich. Ein weiterer Gänsehautmoment.

Bei unserem Abschied, am nächsten Tag, umarmten wir uns herzlich. Diese Begegnung wird, noch sehr lange im Gedächtnis bleiben. Danach ging es durch den schönen Ort Saint-Jean-d’Angély und zur königlichen Abtei Saint-Jean-Baptiste.

Dirk Naumann, geboren und aufgewachsen in Torgau / Sachsen, lebt nach Stationen in Düsseldorf und Monaco heute in München. 2020, während der Pandemie, brach er auf, zu einer mehr als 3.600 Kilometerlangen Pilgerreise durch vier Länder Westeuropas. Zu Fuß, ohne Vorbereitung und Erfahrung. Aus den Notizen dieser Reise entstand ein persönliches Buch, dass gleichzeitig seine Premiere als Autor darstellt.

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Mein Buch: Freigelaufen

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